Ein Tag im Krankenhaus

von Peter

Im Laufe der letzten Jahre hat das Krankenhaus den Horror etwas verloren. Ich erinnere mich daran, dass meine Großmutter in einem Krankenhaus arbeitete. Es war noch die Generation von Krankenschwestern, die mit grauen Kitteln, weißen Schürzen und gestärkten Hauben ihren Dienst verrichteten. Ich kann mir in Erinnerung rufen, sie mit meinem Großvater vom Dienst abgeholt zu haben. Das Krankenhaus erschien mir groß, dunkel und bedrohlich. In den spärlich beleuchteten Fluren roch es penetrant nach Reinigungsmitteln, Formalin und Krankheit. Ich war froh, mit meinem Leben davon gekommen zu sein.

Heute sind die Krankenhäuser offener, heller, bunter und freundlicher. Und wenn man dort arbeitet auch nicht mehr so bedrohlich. Trotzdem bin ich dankbar für diese Erinnerung, denn so kann man leichter in Kinder hineinversetzen, die Krankenhäuser Heute ebenso bedrohlich empfinden, als ich in meinen Kindertagen. Für Patienten gilt das manchmal auch.

Meine Großmutter starb im Alter von 55 Jahren an den Folgen eines Verkehrsunfalles, nachdem sie selbst ihr ganzes Leben als Krankenschwester gearbeitet hat. Während ihrer wachen Minuten auf der Intensivstation wusste sie also nicht nur, wo sie war, sondern auch, was ihr blühte. Ich persönlich stelle mir das schrecklich vor. Der Aufenthalt in einem Krankenhaus kann also Stress verursachen – wenn man zu wenig darüber weiß ebenso wie wenn man mit allen Abläufen vertraut ist.

Neben Diagnose und Therapie sind wir auf der Station darum bemüht, die Patienten für die Dauer ihres Aufenthaltes so gut wie möglich zu betreuen. Jeder Pflegedienstschüler wird ein Lied von dem Thema „Hygiene“ singen können. Um Infektionen zu vermeiden, wird in Krankenhäusern ein sehr großes Gewicht auf Hygiene gelegt. Dies betrifft nicht nur die Hygiene einer medizinischen Indikation, sondern auch Körperhygiene und Körperpflege bei Patienten, die einen längeren Krankenhausaufenthalt vor sich haben.

Es mag sehr banal klingen: Wir hatten vor einigen Jahren eine ältere Dame für eine längere Zeit auf Station, die zwar täglich gewaschen und zurechtgemacht wurde, jedoch stets einen etwas bedrückten Eindruck machte. Ich konnte dann beobachten, dass sie eine Kollegin bat, ihr einen Lippenstift mitzubringen, da sie sich so ganz ohne Kosmetik so hässlich vorkam. Nachdem sie dann also, nach der täglichen Wäsche, ein wenig Lippenstift auftragen durfte, verbesserte sich der Allgemeinzustand der Dame frappierend. Auch dieses Erlebnis hat sich in mein Gedächtnis gebrannt.

Ich selbst konnte dann auf diese Erinnerung zurückgreifen, als wir einen Patienten hatten, der bei sämtlichen Schwestern und Pflegern als „Meckerpott“ bekannt war. Der ältere Mann bekam kaum Besuch, hatte an allem etwas auszusetzen und gehörte auch sicher nicht zu meinen Lieblingspatienten. Irgendwann fiel mir dann jedoch sein Schnurrbart auf, der etwas zottelig aussah und ihm, man möge mir verzeihen, das Aussehen eines verärgerten Seehundes verlieh. Kurzerhand recherchierte ich im Internet nach geeigneten Produkten (danke hier an 3tage-bart-rasierer.de für die vielen tollen Infos), besorgte ich Barttrimmer und Bartöl nach dem Dienst und brachte es am nächsten Tag mit auf Station.

Es dauerte nicht lange, bis er klingelte, um sich über das Fernsehprogramm zu beschweren. Ausgerüstet mit meinem Barttrimmer und dem Bartöl ging ich dann in sein Zimmer, stelle ihm den gewünschten Kanal ein und hielt ihm den Barttrimmer und das Bartöl vor die Nase. Die Augen wurden groß und er fragte was das soll. Ich erklärte ihm, dass mir aufgefallen sei, dass sein Bart für gewöhnlich sicher nicht in so einem jämmerlichen Zustand sei, sondern eher einen gepflegten Eindruck machte. Nachdem wir gemeinsam seinen Bart in Form gebracht und dazu auch noch das Pflegeprodukt angewendet haben, war der Mann wie verwandelt. Zwar knurrte und murrte er hin und wieder noch über dies und das – doch war das sehr erträglich im Vergleich zu dem ungenießbaren Gesellen, für den ihn sonst jeder kannte.

Diese beiden Beispiele zeigen, wie abhängig das Befinden von Patienten von wirklich kleinen und nebensächlich erscheinenden Dingen sein kann. Dinge oder Gewohnheiten, die sie im Alltag leben, auf das sie im Krankenhaus jedoch vermeintlich verzichten müssen. Dabei kann es sich um einen Lippenstift handeln, einen Barttrimmer oder aber auch eine Partie Schach.

Sicherlich ist es nicht möglich, jeden Wunsch zu erfüllen. Zunächst einmal bleiben viele dieser Wünsche unausgesprochen und man muss die Patienten beobachten und ein noch wichtigerer Faktor ist die Zeit, die sehr oft im Krankenhausalltag fehlt.

Der Zeitfaktor ist gerade bei jüngeren Kollegen ausschlaggebend.

Nicht nur, um zusätzliche Zeit mit einem Patienten zu verbringen, sondern auch, um sich die Zeit nehmen zu können, sich soweit mit den Menschen beschäftigen zu können, dass man solche kleinen Details bemerkt. Das ist nicht immer ganz einfach. Für den Patienten lohnt dieser Einsatz natürlich sehr – ganz besonders dann, wenn es sich um ältere Menschen handelt, die unter Umständen nur selten Besuch bekommen, oder aber auch jüngere Menschen, die im Krankenhaus komplett aus ihrem sozialen Umfeld gerissen sind. In solchen Fällen hilft dann tatsächlich ein Fläschchen Bartöl, ein nettes Gespräch oder sogar eine Runde „Angry Birds“.

Man hat so unendlich viele Möglichkeiten – wenn die Zeit reicht.